„Vergiss nicht!“

02. Feb 2024

Jeden Tag müssen wir uns entscheiden: Ist das Glas halb leer oder halb voll? Das gilt für mein ganz persönliches Leben, genau so wie für meinen Blick auf unsere Gesellschaft, auf unser Land.

Nachts halb drei. Kind krank. Die Eltern selber nicht fit, große Müdigkeit. Aber es ist klar: Sie werden aufstehen und als Eltern in Liebe tun, was getan werden muss. Dankbarkeit für dieses Ende des Nachtschlafs, für die erwartbare Erschöpfung am nächsten Tag? Das nicht, aber Dankbarkeit, dass ihnen dieses wunderbare Kind anvertraut ist, dass sie es lieben und das Kind sie liebt. Müdigkeit hin oder her.

Der bange Blick auf den Kontoauszug. Es ist nicht viel, was sie da an Rente überwiesen bekommen hat. Große Sprünge kann die ältere Frau damit nicht machen? Dankbarkeit, dass finanziell dieses Jahr keine große Reise möglich ist? Das nicht, aber Dankbarkeit, dass sie eine warme Wohnung hat, der Kühlschrank immer gut gefüllt ist und die Krankenkasse zahlt, was nötig ist für ihre Gesundheit.

Frühstückspause. Seine Arbeit macht er gern. Viele seiner Kollegen sind im Lauf der Jahre richtige Freunde geworden. Nur der eine nicht. Immer wieder schafft der es, ihn aus der Ruhe zu bringen, ihn mit kleinen Bemerkungen zu ärgern. Alle bisherigen Versuche einer Aussprache haben nichts geändert. Dankarbeit für den schwierigen Kollegen? Das nicht, aber für die Arbeit, die ihn erfüllt. Für die finanzielle Sicherheit. Dankbarkeit für die anderen Kollegen.

Jeden Tag müssen wir uns entscheiden: Ist das Glas halb leer oder halb voll? Das gilt für mein ganz persönliches Leben, genau so wie für meinen Blick auf unsere Gesellschaft, auf unser Land.

Es ist ein eigenartiges Phänomen. So gut, wie unserer Generation ging es niemandem unserer Vorfahren. Nie in der Menschheitsgeschichte gab es einen solch hohen Lebensstandard. 90% der Weltbevölkerung schauen mit Neid und Bewunderung auf unser Land, auf unser Sozialsystem, die kostenlose Bildung, die wirtschaftliche und politische Sicherheit, das Rechtssystem… Natürlich gibt es bei all dem auch vieles, was nicht gut läuft, was anders werden sollte.
Und dennoch möchte ich nie den Blick der Dankbarkeit verlieren, egal ob nachts halb drei am Kinderbett oder in Hinsicht auf mein Heimatland. Und diesen Blick der Dankbarkeit habe ich auch für unsere Demokratie, für die freiheitliche Grundordnung, den Wohlstand. Und ich bin dankbar für die vielen Menschen in unserem Land, die dies alles erarbeitet haben und erhalten. Diesen Blick will ich mir insbesondere nicht nehmen lassen von Extremisten jeglicher Farbe.

Psalm 103 fordert uns richtiggehend heraus:
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
Dankbarkeit für das Gute, das wünsche ich Ihnen

Frank Freudenberg