Weihnachtsgruß aus Wernigerode

23. Dez 2020

Das hochheilige Paar schaut in die Mitte – doch – ach! Tausendundeine Nacht. Überraschung! Hier fehlt ja was auf unserem Altarbild. Ist Ihnen das schon aufgefallen?

Weihnachtsgruß aus der Neuen Evangelischen Kirchengemeinde Wernigerode

Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht nur das traute hochheilige Paar.
Tausendmal haben wir dieses Lied schon gehört. Tausendmal hat es uns berührt. Fast tausendmal standen Sie vielleicht auch schon vor der Darstellung der Weihnachtskrippe in Ihrer Kirche. In unserer Wernigeröder Sylvestrikirche haben wir auch eine Krippenszene im Altarbild. Tausendmal gesehen und immer wieder berührt vom Bild der Heiligen Familie im Stall zu Bethlehem.

Da ist Maria. Sie kniet und hebt die Hände. Zum Gebet? Oder einfach in einer Geste des freudigen Staunens. Nach der Aufregung ihrer überraschenden Schwangerschaft, nach den Strapazen eines langen Weges und den Schmerzen der Geburt ist nun das Kind geboren. Ihr Kopf ist sanft geneigt. Als ob sie auf jeden einzelnen Atemzug ihres kleinen Sohnes lauscht. Ihr gegenüber ist Josef. Auch er kniet. Ein Bein ist aufgestellt, darauf stützt er einen Leuchter mit brennender Kerze. Staunend blickt auch er auf das Wunder der Heiligen Nacht.

Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht … So ganz einsam sind die beiden nicht. Hirten, kleine Engel und natürlich Ochs und Esel füllen das offene Stallgebäude aus. Ganz so, wie es sein soll. Später werden auch die Heiligen Drei Könige eintreffen. Auf unserem Altarbild ist dargestellt, wie diese aus verschiedenen Himmelsrichtungen kommend, zusammentreffen und ihren Weg zur Krippe gemeinsam fortsetzen.

Stille Nacht, heilige Nacht. Tausendmal berührt von diesem Motiv. Tausendmal berührt. Tausendmal ist nichts passiert. Alles ist vertraut. Wie immer. Maria, Josef und das Kind in der Krippe – so muss das zu Weihnachten sein, alles muss schließlich seine Ordnung haben bei uns an Weihnachten.

Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht. Das hochheilige Paar schaut in die Mitte – doch – ach! Tausendundeine Nacht. Überraschung! Hier fehlt ja was auf unserem Altarbild. Ist Ihnen das schon aufgefallen? Eigentlich hätte er hier liegen sollen. Der neugeborene Gottessohn. Aber dort, wo wir ihn erwarten, ist er nicht! Im Kunstführer der Kirche lese ich nach. Das Jesuskind lag zu Füßen der Maria auf einem Zipfel ihres Mantels. Doch es ist im Laufe der Jahrhunderte abhanden gekommen.

Ein Krimi. Und das in unserer Kirche! Wer hat das Jesuskind genommen? Ist es vielleicht bei Restaurierungsarbeiten verschwunden, wurde es gestohlen? Oder - hat es sich selbst auf und davon gemacht?

Ein Krippenbild auf dem Altar ohne Jesuskind. Ein Fall für die Polizei? Oder für den Denkmalschutz. Sollen wir Spenden sammeln, uns ein neues Jesuskind machen? Oder nehmen wir das jetzt einfach mal als ein Zeichen: Jesus ist nicht immer da, wo wir es denken und für richtig halten. Er lässt sich nicht festhalten von unseren Bildern und Traditionen.

Wie sagte der Engel doch: Das habt zum Zeichen: Ihr werdet das Kind finden in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Wo genau wird nicht gesagt. Vielleicht müssen wir das wieder lernen. Das Kind finden. Es suchen. Mit seiner Ankunft zu rechnen – dort, wo er es selbst für richtig hält.

Ja, wo könnte er denn hin sein? Ist er im Krankenhaus? Dort wurden ja Freiwillige gesucht. Im Pflegeheim, um Alte zu trösten und dem Personal zur Seite zu stehen. Ist er irgendwo in der Stadt in einer Wohnung, wo jemand sonst ganz allein wäre? Oder steht er am Ufer eines Meeres und blickt angestrengt hinaus, ob da Menschen in Seenot sind. Sitzt er am Telefon der Rettungsleitstelle, hat er Nachtdienst im Hospiz, oder telefoniert er gerade mit einem Freund, der über die Feiertage in Quarantäne ist.

Gerade in diesem Jahr, das so viele Überraschungen für uns bereit hielt. Ist das für mich eine gute Nachricht. Gott kommt zur Welt. Und er begegnet nicht unbedingt dort, wo ich es normalerweise erwarte, sondern dort, wo er gebraucht wird. Wo ein Mensch auf ihn wartet. Wo jemand in Not ist und sich nach ihm sehnt.

Das kann überall sein. Sicherlich auch in einer Kirche oder an einem Altar. Aber eben auch überall sonst. Zuhause. Auf der Straße. Unter fremden Leuten. In Krankenhäusern und am Sterbebett. Wo jemand ganz allein ist. Wo Hoffnung gebraucht wird. Überall da gilt der Satz des Engels: Ihr werdet ihn finden. Gott kommt. Dorthin wo du bist. Das ist Weihnachten. Diese gute Nachricht. Die Welt ist kein gottloser Ort mehr, seit Jesus in diese Welt hineingekommen ist. Und Du bist niemals allein. Amen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein gesegnetes Weihnachtsfest. Finden Sie das Kind. Finden Sie Wärme und Frieden. Bleiben Sie behütet. Amen.
Pfarrerin Dr. Heide Liebold