Tapfer sündigen und freudig glauben

13. Nov 2020

Jesus öffnet eine Tür und führt mich heraus aus der moralischen Besserungsanstalt, zu der unser Glaube manchmal gemacht wird.

Ich mag Greta Thunberg. Ich finde die schwedische Klimaaktivistin echt klasse. Mich beeindrucken ihre Klarheit, ihre Ernsthaftigkeit, ihre Kompromisslosigkeit. Sie duldet keine Ausreden. Sie packt uns bei unserem schlechten Gewissen.
Ich weiß, dass andere genau das an Greta Thunberg nervt. Als segele sie moralisch über uns hinweg. Doch auch ihre Kritiker müssen zugeben, sie hat bereits viel bewegt. „Fridays for Future“ ist zur Redewendung geworden, wenn es um konkrete Schritte für die Bewahrung der Schöpfung geht.

In den Gottesdiensten am Sonntag, dem 15. November, begegnete uns Jesu Gleichnis „Vom ungerechten Verwalter“ (Lukas 16,1-9). Das hat auf den ersten Blick nichts mit Greta Thunberg zu tun. Jesus erzählt seinen Jüngern die Geschichte eines Mannes, der der Veruntreuung beschuldigt wird und deshalb seinen Posten verlieren soll. Daraufhin beschließt er, tatsächlich Besitz zu veruntreuen. Er fälscht Schuldscheine und gewährt Schuldnern seines Arbeitgebers Schuldenerlass. Das Überraschende: Dieses Verhalten wird von Jesus ausdrücklich als klug gelobt!

Ich frage mich, wie hat Jesus diese Geschichte erzählt? Mit ernstem Unterton und erhobenem Zeigefinger? „Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.“ Das Verhalten des Verwalters wird dadurch um keinen Deut besser. Oder trauen wir Jesus zu, dass Ironie zu seinem Handwerkszeug gehört? Könnte es sein, dass er am Ende seiner Geschichte mit seinem Zeigefinger sein Augenlid nach unten zieht und uns verschmitzt zuzwinkert: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon.“?

Jesus lobt den Verwalter, weil dieser sich nicht alles gefallen lässt, weil er eine Chance ergreift, obwohl die Zeichen gegen ihn stehen, und auf Hoffnung hin ausprobiert, was für ihn möglich ist. Um Moral geht es Jesus dabei nicht. Er zielt auf unseren Mut zum Leben. Auf Mut zum Leben selbst dort, wo es schwer ist, den Erwartungen zu entsprechen.

Ich kaufe viel zu selten Biofleisch. Mein Auto ist mir immer noch mein liebstes Fortbewegungsmittel. Der Ökostrom, den ich beziehe, ist nur wenig mehr als Gewissensberuhigung. Für Greta Thunberg ist das mit Sicherheit kritikwürdig. Dennoch mag ich sie und alle von „Fridays for Future“. Sie sind mir ein wichtiger Stachel für noch mehr Umweltbewusstsein. Zugleich bin ich sehr froh, dass mir Jesus mit solchen Geschichten wie der vom ungerechten Verwalter Druck nimmt. Jesus öffnet eine Tür und führt mich heraus aus der moralischen Besserungsanstalt, zu der unser Glaube manchmal gemacht wird.

Jürgen Schilling