Chance für einen hoffnungslosen Fall

11. Sep 2020

Wahrgenommen werden, angesehen sein – der Wunsch nach guten zwischenmenschlichen Beziehungen ist groß.

Die Geschichte von Zachäus kennen wir: Ein kleiner, reicher, zutiefst unsympathischer Mensch, der gut davon lebt, andere übers Ohr zu hauen und sich an ihnen zu bereichern. Echte Freunde hat er folgerichtig nicht, höchstens welche, die an seinem Geld interessiert sind. Gesellschaftlich ist er geächtet, aber dennoch an seiner Umwelt interessiert. Deshalb möchte er den Mann sehen, von dem so viel geredet wird: Jesus. Der kleine Zöllner ist so gewieft, sich einen Maulbeerbaum zu suchen auf den er klettern und in dem er sich unauffällig verstecken kann.
Dann geschieht Unerwartetes: Er sieht Jesus nicht nur, sondern wird von ihm gesehen, mit seinem Namen angesprochen und Jesus lädt sich bei ihm ein – bei ihm, mit dem sonst niemand etwas zu tun haben will und das verändert den Mann total.
"Neurobiologische Studien zeigen, dass nichts das Motivationssystem so sehr aktiviert, wie von anderen gesehen und sozial anerkannt zu werden", sagt Joachim Bauer, Medizinprofessor aus Freiburg, der seit Jahren den Wunsch nach Anerkennung erforscht. "Unser Gehirn giert nach Anerkennung", erklärt Bauer. "Alles, was wir tun, steht im Dienste des tiefen Wunsches nach guten zwischenmenschlichen Beziehungen.“
Aufgrund seines Lebensentwurfes blieb dem Zöllner das verwehrt – bis zu der Begegnung mit Jesus. Der übersieht ihn nicht; der Gottessohn blickt auf zu dem, auf den alle anderen herabsehen. Das gibt dem Verachteten eine Würde, von der er nicht einmal mehr geträumt hat.
Jesus spricht nicht nur mit ihm, sondern lädt sich zum Essen bei ihm ein; nicht nur damals eine hohe Form der Nähe und Zuwendung im Orient.
Wenn einem Menschen gesagt wird: „Du bist mir wichtig, ich möchte Kontakt zu dir, so wie du bist, mit deinen Schwächen und deinen Stärken“ dann erhält der die Chance, sich zu ändern.
Zachäus hat seine genutzt: „Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.“ (Vers 6) Anschließend verteilte er sein ergaunertes Vermögen an diejenigen, die er betrogen hatte.
Aus einem hoffnungslosen Fall wird ein gemeinschaftsfähiger Mensch mit neuen Möglichkeiten zum Leben.

Ursula Meckel