Pfarrer Friedemann Goßlau heimgerufen

09. Jan 2018

Stiftskirche Quedlinburg

Friedemann Goßlau verstorben

Pfarrer i.R. Friedemann Goßlau wurde am 8. Januar 2018 im Alter von 88 Jahren heimgerufen.

Er war von 1965 bis 1993 Pfarrer der Domgemeinde Quedlinburg. Auch aufgrund seiner Bemühungen konnten die 1945 geraubten Teile des Domschatzes 1993 aus den USA nach Quedlinburg zurückkehren.

Der Trauergottesdienst wird am 3. Februar 2018 um 11 Uhr in der Stiftskirche Quedlinburg sein. Die Beisetzung der Urne erfolgt im Familienkreis.


Im Januar 1998 erschien nachfolgender Artikel über ihn in der Wochenzeitung "die kirche":

Beitrag für die Magdeburger Ausgabe von „die kirche“
Schatzsucher
Pfarrer Friedemann Goßlau zum Ehrenbürger ernannt

Wie üblich es ist, Pfarrer zu Ehrenbürgern zu ernennen, ahne ich nicht, aber in Quedlinburg ist es nach Propst i.R. Bernhard Brinksmeier bereits der zweite Seelsorger nach der Wende, dem diese Ehre zuteil wurde. Die Weltkulturerbestadt bedankte sich damit am 19. Januar bei dem Mann, der mit hohem persönlichen Einsatz und erheblichem Mut zum Risiko maßgeblich zur Rückführung der entwendeten Teile des Domschatzes beigetragen hat.

Die unschätzbar wertvollen Stücke waren 1945 nach Kriegsende von einem amerikanischen Offizier per Feldpost nach Texas verbracht worden und galten lange als verschollen. Für eine ausführliche Schilderung des abenteuerlichen Kunstkrimis ist hier leider kein Platz. Empfehlens- und lesenswert dazu ist das Büchlein von Friedemann Goßlau: „Verloren, gefunden, heimgeholt. Die Wiedervereinigung des Quedlinburger Domschatzes“.

Daß dies ausgerechnet ihm passieren mußte, nennt er selbst ironisch einen „Treppenwitz“ und schreibt: „Fast gewalttätig wurde ich aus der schützenden Dämmernische eines DDR-isolierten Pfarrhauses in grelles Rampenlicht gezerrt. ... Eine Papierschlacht setzte ein, die ich ohne Sekretärin bewältigen mußte. Nach Abschluß der Schlacht nahmen die Aktenordner ´Domschatz´ mehr Platz ein als das ganze übrige Pfarrarchiv aus 28 Dienstjahren. Nach dem normalen Postempfang zu früher Stunde klingelte am Nachmittag der Eilpostbote und überreichte gewichtige DIN A4-Kuverts, juristische Schreiben von nicht einschätzbarer Konsequenz, mit Knurren quittiert und mit artigen Schreiben beantwortet.“

Dabei hatte sich in den Jahren zuvor schon manches getan. Ab 1982 wurde z. B. das Samuhel-Evangeliar auf dem Kunstmarkt angeboten und die Herkunft Quedlinburg war allen Beteiligten klar. Doch die Eigentümerin Kirchengemeinde lag unerreichbar fern im kommunistischen Nirgendwo. Das änderte sich 1990 und nur im Zeichen dieser einmaligen Sternstunde unseres Landes konnte die Rückführung gelingen.

Bis heute ist umstritten, ob es richtig war, mit welchem finanziellen Aufwand die Domschatzteile quasi zurückerobert wurden. Für den ansonsten eher unauffälligen, wenn auch nicht unscheinbaren Dompfarrer war es eine harte Zeit. Tagsüber versuchte er, das zu bleiben, was er mit Leib und Seele war, nämlich Gemeindepfarrer; abends studierte er englische juristische Texte. Die vom Konsistorium erhoffte Hilfe blieb völlig aus, ein wahnsinniger Druck lag auf ihm und dem Gemeindekirchenrat.

Auf einmal gab es Umgang mit Anwälten, deren Denkweise schwer nachvollziehbar war und das komplizierte texanische Recht kam dazu. Über eine Verhandlung in London schreibt der jetzt Geehrte in seinem Buch: „Ich erlebte acht Stunden Clinch mit ungewissem Ausgang. Mal drohte die eine Seite mit Abbruch, dann die andere. Kam es zu Unterbrechungen blieb unklar, ob die andere Seite zurückkehrt oder inzwischen abgereist ist. Es wurde nicht gebrüllt, aber ein Schwerhöriger hätte den Verhandlungen gut folgen können.“

Die Ängste und Mühen haben sich gelohnt. Es gab den der Euphorie der damaligen Tage zuzuschreibenden einstimmigen Beschluß der Kulturstiftung Deutscher Länder, 3 Millionen Dollar einzusetzen, um das brillant erhaltene Samuhel-Evangeliar der Domgemeinde zurückzugeben. Bevor es in der Bayrischen Staatsbibliothek restauriert wurde, durften Diakon Werner Bley (seit Jahrzehnten verantwortlich für die Domführungen) und Friedemann Goßlau sich die Kostbarkeit in München anschauen. Die herzliche Begegnung schildert er wie folgt: „Eine Restaurateurin, mit weißen Handschuhen, trug das in Tüchern eingewickelte riesige Buch vor sich her, legte es behutsam auf einen Tisch, die Hüllen fielen, wir sahen das Prachtstück. Ich kam mir vor wie ein frischgebackener Vater, dem zum ersten Mal auf der Entbindungsstation sein neugeborenes Kind hinter der Glasscheibe gezeigt wird. Nicht berühren, selbst der Atem sollte die Blätter nicht streifen. ... Wir konnten schauen, staunen, sinnieren, uns freuen, andächtig still, bis die Spannung sich löste.“

Es dauerte noch, bis im September 1993 feierlich die Wiedervereinigung des Domschatzes begangen wurde. Zwischenzeitlich war Pfarrer Goßlau in den Vorruhestand gegangen, wobei er bis heute ein „i.R.“ (in Rufnähe) geblieben ist. Der Touristenstrom nach Quedlinburg reißt nicht ab, was ganz sicher auch auf den attraktiven Domschatz zurückzuführen ist.

Bei der Entgegnung auf seine Laudatio am 19. Januar sagte der Emeritus u.a.: „“Unser Domschatz ist lebendige Geschichte. Geschichte ist mehr als nur das, was gestern passiert ist und heute passé ist. ... Unser Woher bestimmt auch unser Wohin, daher können wir es uns nicht leisten, Geschichte als eine Dimension unseres Lebens nicht wahrzunehmen. Meine Sorge aber ist, daß wir im ständigen totalen Nur-Jetzt (im Moment keine Zeit) das Gespür und den Blick für Zeit und Geschichte verlieren." Deshalb nutzte er den Neujahrsempfang auch für den Vorschlag einer Pilgerschaft von Quedlinburg nach Gnesen im Jahre 2000, als symbolträchtige Erinnerung an einen friedensstiftenden Brückenschlag vor 1000 Jahren. Damals pilgerte Kaiser Otto III nach Polen, und ermöglichte damit einen Schritt zur Eigenstaatlichkeit und Unabhängigkeit.

Friedemann Goßlau wurde im April 1929 in Frankfurt/Main als Sohn eines Pfarrers und einer promovierten Juristin geboren. 1955 trat er seine erste Pfarrstelle im damaligen Sperrgebiet in der Altmark an, im Oktober 1965 übernahm er das Pfarramt an der Stiftskirchengemeinde St. Servatii in Quedlinburg. Seit fast 40 Jahren ist er verheiratet, Vater dreier Kinder und zur Familie gehören inzwischen zwei Enkel.

Ich kenne und schätze ihn seit über 20 Jahren als liebenswerten und zuverlässigen Kollegen, dessen Predigten ich nicht nur gern und mit Gewinn höre, sondern auch lese (er hat viele Lesepredigten verfaßt). Er gehört nicht zu denen, die sich in den Vordergrund drängen, doch wenn er – eher bedächtig – sich zu Wort meldet, ist immer Zuhören angesagt.

Lange gehört er zum Stadtbild von Quedlinburg und ich freue mich nicht nur mit ihm über seine Ehrenbürgerschaft, sondern bin auch durchaus stolz auf meinen Vorgänger im interessanten Dompfarramt.

Ursula Meckel






Friedemann Goßlau

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