Den Frieden einfangen

15. Mai 2019

Warum etwas andere Menschen ihr etwas anderes Fest feiern und ganz Neinstedt dafür auf den Beinen scheint.

Zimmerei Machemehl, Malermeister Pielemeier, ein Landschaftsgärtner und ein Autohaus, die AOK und das DRK, dazu viel gutes Essen und eine bunte Masse an Menschen - wer glaubt, Neinstedt veranstaltet eine Gewerbeschau, der irrt kräftig. Im Thalenser Ortsteil ist manches etwas anders. „Das sind alles unsere Partner“, erklärt Irene Heilemann von der Evangelischen Stiftung.
Am Sonntag Jubilate, dem 12. Mai 2019, feierte die Stiftung ihr 169. Jahresfest - mit Bewohnern, Angehörigen, Mitarbeitern und Einwohnern. LINKEN-Landtagsabgeordnete Monika Hohmann befindet sich unter den Gästen ebenso wie Quedlinburgs OB Frank Ruch, sein Gernröder Kollege Manfred Kaßebaum (beide CDU) und der Sozialdezernent der Kreisverwaltung Harz.
Über dem Fest steht Psalm 34. „…suche Frieden und jage ihm nach!“ Stiftung-Vorstand Stephan Zwick verteilt Festprogramm, sein Vorstandskollege Diakon Hans Jaekel feiert den Open-air-Gottesdienst. Nicht allein, sondern mit Menschen aus der Stiftung, mit Kantor Martin Fuhrmann, der die musikalische Leitung hat, mit dem Bewohner-Chor und dem großen regionalen Posaunenchor. Auf der Wiese vor der Werkstatt stehen Bänke, darauf Menschen im Rollstuhl, welche die klatschen, in sich versunken sind oder die Stille lautstark unterbrechen. Ein besonderer Gottesdienst eben, in dem Bewohner mitwirken. Volker Schoodt hat sich im Bewohnerbeirat auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise für jene „Fremde“ engagiert, er spricht ein paar Worte in Arabisch. Das passt gut zu dem, was Hans Jaekel will: „Christen, krabbelt aus den Kisten, kommt aus den Schubladen raus.“ Christian Schümichen steht auf der Gottesdienstbühne, die er morgens um 7 Uhr noch mit Blumenkästen und -sträußen dekoriert hat. Er habe Gutes erlebt, nachdem ihn die Mutter ins Kinderheim brachte, und weiß, Gutsein lohnt sich, sagt Gott. Petra Pieske erfährt in der Stiftung, was Achtsamkeit ist und wie jeder auf seinen Nächsten achtgeben sollte. „Unser Motto heute heißt: Den Frieden einfangen. So fangen wir uns das Vertrauen Gottes ein.“
Viele fleißige Helfer sind an diesem Festvormittag unterwegs und verteilen in der Tagesförderung entstandene Origami-Tauben, die die Jahreslosung tragen. Diese Botschaft singen auch Jelena und Timon Herder von der Bühne. Sie entdeckte Irene Heilemann beim Kirchentag 2017 und lud sie in die Stiftung ein. Die Theologin und der Sozialarbeiter begeistern mit ihren sensiblen Liedern und der Prosa, die später noch das Publikum ihres Konzerts rühren. Wenige Meter weiter fehlt der Groupi, als die inklusive Band „McLoud“ für Stimmung sorgt. Sie feiert dieses Jahr 15. Geburtstag, nachdem damals Bewohner Musik machen wollten und in wechselnder Besetzung nun auch machen, berichtet Sängerin Kristin, die hier arbeitet und wie ihre vier Band-Kollegen Autodidaktin ist.
Das Jahresfest überrascht immer wieder. Vor dem Eingang des Festgeländes heulen Motoren auf. Erstmals sind Motorradfahrer mit von der Party. Mitarbeiter und deren Angehörige wie der Teamleiter vom Marienhof David Krieg fahren Bewohner der Stiftung per Quad oder MZ-Beiwagen-Maschine über das weitläufige Gelände. Dort treffen die Besucher auch auf die Malerin Heike Wolff, die seit zwölf Jahren kreativ mit Behinderten arbeitet. Sie gehört zu den Gründern von „Liwet“, dem integrativen Kunstverein, der sich von Villa-Circus Bonini am Standort der Stiftung in Calvörde bis zum „Liwet“-Landhaus in Molmerswende den ganz speziellen Künstlern widmet. Als Stammgast der Jahresfeste sieht sich Jürgen Achterberg. Der Fachapotheker frönt einer besonderen Leidenschaft. Hans Jaekel traf ihn vor Jahren in Berlin und engagierte den Seifenblasenkünstler von der Stelle weg. „Das Wetter in Neinstedt ist diesmal ideal. Sonne, aber feuchte Luft, das lieben die Riesen-Seifenblasen.“
Gefilztes und Getöpfertes bieten Aimeè Buchheister und Yvonne Bögelsack am Stand vom Haus Emaus an. Die Tagesförderung am Standort Blankenburg entstand erst im November 2018 und gehört zur Familie der Stiftung Neinstedt.
Uwe Kraus