11. Sep 2011
Mit einem Gottesdienst wurde der Terroranschläge in den USA vor 10 Jahren gedacht
Mit einem zentralen musikalischen Gottesdienst gedachten am Sonntag Hunderte Halberstädter und Gäste der Terroranschläge in den USA vor 10 Jahren. Domkantor Claus Erhard Heinrich gestaltete mit der Halberstädter Kantorei und dem Philharmonischen Kammerchester Wernigerode den musikalischen Teil in ausdrucksvoller Weise. Zart klangen die Melodien bei der Bearbeitung des Bachschen Chorals von Max Reger durch die Weite des Kathdralraumes, mächtig durchfluteten die Harmonien von Giacomo Puccinis Requiem den Dom. Herausragend vor allem die Uraufführung des Friedenskyrie aus der Feder des Domkantors selber. Die Sängerinnen und Sänger durchschritten singend das Kirchenschiff und aus jedem Winkel erklang "Verleih uns Frieden gnädiglich". Dabei verstand es die Halberstädter Kantorei, in großer Ruhe die Herausforderungen dieser Raum-Klanginstallation zu meistern und nur das Stück auf die Besucher wirken zu lassen. Währenddessen wurde aus Lichtern und Steinen ein Radkreuz zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge gestaltet wurde. Minutenlanges Schweigen nach dem Gottesdienst zeugte von der Ergriffenheit aller. "Noch nie habe ich einen so beeindruckenden Gottesdienst erlebt", sagte hinterher ein Gast aus Hannover, "davon werde ich erzählen und die Musik und die Worte weiter tragen."
von Superintendentin Angelika Zädow
Der Frieden Gottes erfülle unsere Herzen und ermutige uns zu verantwortungsvollem Reden und Tun. Amen.
Liebe Gemeinde,
am 11.September 2001 – es ist, als wäre es gestern gewesen - stand ich am Kopierer des Gemeindezentrums Arche in Meckenheim – noch eben schnell für die zweite Konfirmandengruppe ein paar Blätter vervielfältigen.
Ein Kollege kommt – weiß wie die Wand. Irgendetwas war passiert. „Angelika, hast Du schon gehört?“ – „Nein, bin den ganzen Tag unterwegs“. Und dann kam es stockend, in Stichworten nur, aus denen ich entnahm: Anschlag in New York, viele Tote, unvorstellbar.
Die Konfirmanden, die dann kamen, ergänzten: 2 Flugzeuge ins world trade center geflogen. Ein Mädchen brach in Tränen aus: „Mein Onkel arbeitet da.“ Sprachlosigkeit, Entsetzen. Versuche, das Unfassbare in Worten auszudrücken.
Vielen von Ihnen geht es sicher ähnlich wie mir, dass sie sich noch genau erinnern, was sie taten und wo sie waren, als die Nachricht sie erreichte. Und wie sie die Bilder im Fernsehen sahen – immer und immer wieder. Wie sie von Familien hörten, deren Angehörige unter den Opfern waren.
10 Jahre sind seither vergangen. Nine-eleven ist zum Inbegriff für einen Tag geworden, der die Welt nachhaltig veränderte. Denn an diesem Tag starben nicht nur rund 2800 Menschen in den Flugzeugen, den Gebäuden und auf der Straße in New York, Washinton und Shanksville – dieser Tag hat auch der Rede vom „Zusammenprall der Kulturen“ und dem „Kampf gegen den Terrorismus“ eine neue Wendung gegeben.
Schon unmittelbar an und nach diesem Tag meldeten sich Stimmen, die Konsequenzen forderten.
Im Kommentar der Tagesthemen konnte man hören: Präsident Bush solle das Neue Testament zur Seite legen und nach dem 3. Buch Mose handeln: "Und wer seinen Nächsten verletzt, dem soll man tun, wie er getan hat, Schaden um Schaden, Auge um Auge, Zahn um Zahn; wie er einen Menschen verletzt hat, so soll man ihm auch tun."
Gedanken der Vergeltung und Rache wurden laut. Und so verständlich für mich Wut und Zorn sind, so unverständlich waren und sind für mich solche Stimmen.
Denn hier wird genau das auch getan, was Fanatiker aller Religionen immer wieder tun: verkürzen, aus dem Zusammenhang reißen, die Entstehung dieser Sätze ignorieren. Die Schriften werden so nicht nur verbogen, sondern missbraucht.
Wenn wir die Bibel, den Koran und andere heilige Texte lesen, dann werden wir ihnen nur gerecht, wenn wir uns um ein tiefes Verstehen bemühen. Und dazu gehört die Auseinandersetzung mit dem Ort, der Zeit und den Umständen, in denen sie entstanden.
Der oben zitierte Satz, war zu Zeiten des Alten Testamentes ein Fortschritt, denn zuvor war es erlaubt, jemandem viel größeren Schaden zuzufügen, als einem selbst entstanden war.
Verantwortlicher Umgang mit den Schriften geschieht ausschließlich in einer ganzheitlichen Sicht der sozialen, gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge ihres Entstehens.
Und solange sich Kulturen und Religionen irgendwelche Sätze um die Ohren schlagen, werden immer wieder Menschen voll Hass aufeinander los gehen. Werden ihren eigenen Wohlstand, ihre Überzeugung auf Kosten anderer leben, wird weiter Blutvergießen und Leid über die Völker kommen.
Doch Rache, Gewalt und Krieg haben noch nirgendwo den Frieden gebracht – weder vor nine-eleven, noch danach. Aber sollte das nicht das Ziel sein? Frieden, Gerechtigkeit? Und nicht Kampf und Schwarzmalerei zwischen gut und böse oder zwischen Islam und Christentum?
Wie aber ist Frieden möglich? Aus der Geschichte wissen wir: die langen Friedenszeiten gab es immer dann, wenn Völker sich mit ihren unterschiedlichen Traditionen gegenseitig respektierten und als Bereicherung verstanden. Wenn es eben nicht um Kampf und Machtansprüche ging, wenn Fremden mit wohlwollender Neugier statt mit misstrauischem Beäugen begegnet wird.
Die Menschheit braucht keine Feindbilder, sondern eine Vision. Den Traum von dem umfassenden Frieden, der in allen religiösen Schriften beschrieben wird und für mich eindrucksvoll im 85.Psalm zum Ausdruck kommt: „Könnte ich doch hören, was Gott, der Herr, redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk, dass Güte und Treue einander begegnen, dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.“
Es wird Zeit, dass wir als Christen diese Vision mit Beharrlichkeit vertreten und uns nicht entmutigen lassen, von denen, die sagen: „Mit der Bibel kann man keine Politik machen“. Kann man doch – wie die Reaktion des norwegischen Ministerpräsidenten auf die schrecklichen Morde von Oslo zeigt. Er sagte sinngemäß: „Wir werden uns von dieser Gewalt nicht provozieren, sondern noch offener, noch toleranter werden.“
In diesem Gottesdienst wurde eben ein Radkreuz aus Steinen und Lichtern vor dem Altar gestaltet. Es soll uns ein Symbol sein für die Hoffnung, dass Frieden Wirklichkeit werden kann. Wir Christen, unsere Kirchen, können ein selbstbewusstes Wort dazu beitragen und die Stimme erheben im Sinn dieses Kreuzes. Der Radkranz als Zeichen für die ganze Welt. Die Lichter als Zeichen der Hoffnung und für ein Handeln und Reden ohne Gewalt und Hass.
Das Kreuz in der Mitte als Symbol für den, der beständig Brücken baute zwischen verfeindeten Gruppen und zeigte, dass nur so: im miteinander reden und auch ringen, Verständigung und Versöhnung wachsen können. Es gibt keinen anderen Weg.
Und es wird nicht einfach sein, die christliche Stimme in wirtschaftpolitische Interessen und andere Ansprüche einzutragen. Aber wenn schon überall von Globalisierung die Rede ist, dann sollte an erster Stelle die Globalisierung der Gerechtigkeit, der Ehrlichkeit und des Friedens stehen.
Ich schließe mit einem Zitat von Martin Luther King. Er sagte, als ihm der Friedensnobelpreis überreicht wurde: „Ich nehme diesen Preis an mit dem beharrlichen Glauben, dass Gewaltlosigkeit nicht nur besser, sondern vernünftiger und erfolgreicher ist als Gewalt und ich weigere mich, denen recht zu geben, die Rassen und Klassen, die Krieg und Beherrschung für unvermeidliche Übel halten...“ Amen.