Wunder gibt es reichlich

06. Mai 2023

Immer noch und immer wieder das alte Lied – oder wieder einmal neu erstaunt die Welt um uns wahrnehmen?

Als „Wonnemonat“ wird der Mai bezeichnet und es gibt viele Lieder, die ihn besingen und willkommen heißen: „Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus ... „ – „Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün ... „ - „Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottesgüt ... “.

Mir fällt dazu der Spruch ein: „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“ Schön wäre es ja, denke ich, wenn es so einfach wäre, die Guten von den Bösen zu unterscheiden: Es würde manches im Leben erleichtern. Leider ist es jedoch so, dass auch die Bösen ihre Lieder haben; oft laut, provozierend, voller Aggressionen und aggressiv machend, aus Lautsprecherboxen dröhnend. Dagegen kommt es mir vor, als hätten die Guten zu wenig Lieder oder singen sie jedenfalls nicht oft oder laut genug.

In der Bibel heißt es: „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ Vielleicht wird mancher, der diesen Satz hört oder liest, ungläubig oder unwirsch den Kopf schütteln. Wo gibt es denn so was: Wunder und n e u e Lieder? Viel öfter höre ich die Bemerkung: Immer noch und immer wieder das alte Lied, nichts ändert sich wirklich. Da können nur noch laute Klagelieder angestimmt werden. So vieles macht müde und lässt resignieren, der Alltag wiederholt sich zermürbend, Gewaltbereite schikanieren Schwächere, Ungerechtigkeiten nehmen zu. Immer wieder das alte Lied. Derartige Gedanken und Stimmungen kenne ich – leider.

Zum Glück erlebe ich auch das andere und in dieser Jahreszeit vor allem die Wunder der Natur: Die Blüten- und Blumenpracht im Garten, der Duft des Flieders, die lustig – bunten Schmetterlinge, die lebhaft auf sich aufmerksam machenden Vögel.

Wenn ich mir die Zeit gönne darauf zu achten, entdecke ich viele Wunder: Ein kleines Kind, das mich zutraulich anlächelt; ein Mensch, der tröstend oder trostsuchend nach meiner Hand greift; die nette Autofahrerin, die zu meinen Gunsten auf ihr Vorfahrtsrecht verzichtet.

Oder ich beobachte fasziniert die beiden Kater, die so freundlich sind, meine Wohnung und den Garten mit mir zu teilen: Wie sie mit äußerster Aufmerksamkeit im Grase stehen und erstaunt die Welt betrachten. Ich genieße die Wärme der Sonne und ihr Licht, erfreue mich an allem, was wächst und blüht und gedeiht.

Es gibt Gefühle, die sich nur ganz schwer in Worten ausdrücken lassen. Angst gehört dazu und Trauer, aber auch überschwängliche Freude. Manchmal ist Musik eine Möglichkeit, beeindruckend zu vermitteln, was uns bewegt. Die großen Oratorien bezeugen das ebenso wie ein geträllertes Liedchen.

In solchen Augenblicken wird mir klar: Ich muss gar nicht immer dieselben Klagelieder anstimmen oder mitsingen. Es darf auch mal ein ganz neues Lied sein – nicht nur am Sonntag Kantate - denn Wunder gibt es reichlich.

Ursula Meckel