Du bist ein Gott, der mich sieht – Jahreslosung 2023

06. Jan 2023

Der Wunsch gesehen zu werden, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Wahrgenommen werden mit dem, wer man ist, was einen bewegt, welche Spuren das Leben gezeichnet hat.

Abends geht er mit einem flauen Gefühl ins Bett, morgens kommt er kaum raus. Dort in der Schule warten die anderen Jungs mit ihren Sprüchen und ihren vermeintlichen Späßen, über die alle lachen, während er mit den Tränen kämpft.
Nach der Arbeit verlässt sie schnell das Büro, eilt in die KiTa, manövriert auf dem Rückweg noch eben durch die Supermarktgänge. Kurzer Kaffee zu Hause. Dann geht’s weiter, es warten: Wäscheberge, Geschirrspüler, die Schwiegermutter, Hausaufgabenhilfe, Abendbrot, Einladungen für den Kindergeburtstag, Einschlafbegleitung, Steuererklärung, noch ein Wäscheberg. Morgen… geht’s von vorne los.

Sie werden keine gemeinsamen Kinder haben. Das wussten sie damals schon und haben dennoch tapfer gelächelt, als die gratulierenden Gäste bei ihrer Hochzeit unzählige Male mit dem Nachwuchs neckten, der nun ja bald kommen könne. Tapfer lächeln – was blieb ihnen auch anders übrig, wenn wieder mal jemand fragte, wann es denn endlich soweit sei, wenn die nächsten Babynachrichten von Freunden im Postfach landeten, wenn sich das Kindergelächter bei Familienfeiern schwer auf das eigene Herz legte.

Mitten unter Menschen ist es manchmal ziemlich einsam, wenn man nicht wahrgenommen wird. Die biblische Geschichte einer Sklavin namens Hagar erzählt davon. Hagar wurde zu einer Leihmutterschaft gezwungen. Gedemütigt und misshandelt flieht sie später in die Wüste – voller Einsamkeit und in ihrer Not ungesehen. Bloß weg! Dann passiert etwas Ungewöhnliches: Mitten in ihrer Einsamkeit begegnet sie einem Engel, und der übermittelt ihr auch noch ein Versprechen Gottes für ihre Zukunft: „Ich werde deine Nachkommen so zahlreich machen, dass man sie nicht zählen kann.“ ,Es ist nur eine kurze Begegnung zwischen den beiden, die aber vieles ändert. Hagar schöpft neuen Mut, etwas in ihr heilt und erfüllt sie mit Dankbarkeit. Sie gibt Gott einen Namen: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Der Wunsch gesehen zu werden, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Wahrgenommen werden mit dem, wer man ist, was einen bewegt, welche Spuren das Leben gezeichnet hat. Wie schön wäre das, wenn das unter Menschen öfter gelingen würde. Wie gut ist es, dass es Gott schon längst tut. Er sieht uns voller Liebe an. Und manchmal schickt er uns auch einen Engel, der sieht, was hinter der Maske ist.

Saskia Lieske


Dr. Saskia Lieske

Kontakt

Pfarrerin Dr. Saskia Lieske
Hubertusstraße 2
06502 Thale