Gedanken zum Erntedankfest

01. Okt 2020

Menschen sind Schätzesammler. Lasst uns diesen Charakterzug nutzen und Himmelsschätze sammeln:

Wir Menschen sind Schätzesammler

Zu meinen Kindheitserinnerungen gehört ein riesiger Kleiderschrank. Zwei große Türen halten den Inhalt versteckt. Die Türen knarzen. Sie geben den Blick frei auf fein säuberlich aufgereihte Wäschestapel: Tischdecken. Bettwäsche. Handtücher.

In diesem Wäscheschrank liegt jedoch nicht nur Wäsche. Zwischen den Stapeln ist auch Kaffee versteckt. Und die Schokolade aus dem letzten Westpaket. Auch Zigarettenschachteln sind dort. Sogar Bücher, die politisch gefährlich sind. Meine Mutter nutzte als kluge Hausfrau die Tiefe des Wäscheschranks, um all diese wertvollen Dinge vor fremdem Zugriff zu schützen.

Manchmal steckten ihre Arme weit im Schrank, fuhren nervös hin und her und suchten das von ihr Versteckte vergeblich. Die dazugehörige Geschichte wurde Jahre später lachend erzählt. Natürlich fanden wir Kinder die geheimnisvolle Schatztruhe spannend. Den Versuchungen, die damit verbunden waren, konnten wir nicht immer widerstehen.

Wir Menschen sind Schätzesammler: Muscheln vom Strandurlaub. Krimis aufgereiht im Bücherregal. Schallplatten und CDs. Kochrezepte. Die Eintrittskarten der besuchten Konzerte. Die Malkünste der Kinder aus der Kindergartenzeit. Manch eine sammelt Schuhe. Manch einer das jeweils neueste Modell des i-Phone. Und wir alle sammeln, sofern es uns möglich ist, Geld auf dem Sparkonto.

Wir Menschen sind Schätzesammler. Die Grenze zwischen sinnvoller Vorratshaltung und der Ansammlung von Überfluss ist fließend. Bei wie vielen Schuhpaaren wird es zum Tick? Ab welcher Summe ist ein Sparguthaben moralisch verwerflich?

In diesen Wochen feiern wir in unseren Kirchengemeinden das Erntedankfest. Es ist ein Fest der Himmelsschätze auf Erden. Unsere Kirchen sind geschmückt mit Gaben aus Feld und Garten. Wir erinnern uns daran, wie reich wir beschenkt sind. Wir denken an Geschichten aus Zeiten, in denen man wertvolle Kleinigkeiten in Wäscheschränken versteckten musste. Und wir hören auf Jesus, der sagt, dass etwas Besitzen nicht glücklich macht. Dass es viel wichtiger ist, „Himmelsschätze“ zu sammeln.

Wir Menschen sind Schätzesammler. Lasst uns diesen Charakterzug nutzen und Himmelsschätze sammeln: Der Euro in der Hand der Bettlerin. Die Spende bei „Brot für die Welt“. Der Besuch beim alten Onkel. Die Hilfe für den unbegleiteten Jugendlichen aus der ZASt. Das ehrenamtliche Engagement als Grüne Dame. Das unerwartet freundliche Wort über den Gartenzaun. Der Widerspruch dort, wo Unmenschliches geschieht. Himmelsschätze auf Erden.


Ihr Superintendent Jürgen Schilling