Schulanfang

17. Aug 2019

Der Glaube lebt von der Urteilsfähigkeit der Glaubenden – stimmt das? Dann dürfte allen, die sich kein Urteil zutrauen oder von denen es man nicht verlangen darf, auch der Glaube verschlossen bleiben. Das kann nicht stimmen.

Denn Glauben-Können ist ein Geschenk, das man sich nicht durch Aufmerksamkeit im Unterricht erwirbt. Aber anders herum ist es eben auch richtig: Es gehört zu den großen, freiheitlichen Errungenschaften, dass jeder Mensch das Recht auf Bildung hat, jeder Wissen und Urteilsfähigkeit erlernen kann und jeder das Recht hat, dabei – z.B. durch Lehrerinnen und Lehrer – unterstützt zu werden. Schulpflicht ist das schöne Ergebnis dieser Errungenschaft: Ein Grundrecht, das die Gestalt einer Pflicht bekommen hat, damit alle die gleichen Grundlagen zum guten Zusammenleben haben. Und das gilt auch für die Religion, den Glauben: Wenn die Menschen in die Lage versetzt werden, auch Glaubensfragen entscheiden zu können, dann erst steht ihnen der Weg zum Glauben offen. Natürlich gibt es auch die andere Seite: Auch jemand, der sich keinen Schulabschluss erwerben kann, wird ein gläubiger Mensch sein können. Zum Glauben gehört neben dem Wissen auch das Empfinden. Gelernt wird nicht nur mit dem Verstand sondern und wahrscheinlich zuerst mit dem Herzen, mit dem Gemüt. Eine Lehre, die die Seele angenommen hat, hält sich länger als ein auswendig gelerntes Gebet. Aber es gehört eben beides zusammen. Wem es gegeben ist, zu lernen, zu studieren, sich ein Urteil zu bilden, das Für und Wider abzuwägen, der sollte sich darin auch üben und sich um Meisterschaft bemühen. Wem es gegeben ist, gläubig in den Tag zu gehen, also mit Dank und Bitte, mit Freude und mit Trauer, der sollte diese Gaben lebendig halten, weil sie wesentliche Seiten des Glaubens sind. Wem es gegeben ist, zu beten, der sollte diese Gabe immer weiter üben, denn sie ist nicht so weit verbreitet. Jetzt zum Schulbeginn geht es wieder um die Fragen von Stundenplan, Vokabeln lernen und Mathe-Test, um Schulausgangsschrift, ABC und Einmaleins. Schon die Begriffe, die sich an die Schulzeit angeheftet haben, erzählen etwas von der ausgefeilten Kunst des Lehrens und Lernens, eine Wissenschaft für sich. Die Schulanfänger starten in eine lange Schulzeit, für manche wird sie weit in das Erwachsenenalter reichen. Andere beginnen eine Umschulung, eine Ausbildung, die von Schulunterricht begleitet wird, eine Fortbildung, ein Studium. Es wird im Land gelernt und gebimst, dass „es eine Art hat“. Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Mensch in jeder Lebenslage lernt und lernbegierig ist. Und für den Glauben ist es genau so: Hier wird immer weiter dazu gelernt. Wir werden gut daran tun, die Fragen des Glaubens offen zu halten für alle, die hier lernen wollen. Es gibt ja auch die Meinung, dass Glauben bedeuten könnte, sich stumm einer vorgefertigten Wahrheit anzuschließen. Daraus kann kein Glaube werden, es wird dann eher ein dumpfer Gehorsam, der keine Wurzeln hat. Glauben-Können hat auch etwas mit Lernen -Können zu tun. Dafür wünsche ich allen Schulanfängern und ihren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern viel Freude. Und allen, die gerne etwas lernen wollen, ausreichend Gelegenheit dazu. Und die Weisheit, nicht jedes Geheimnis lüften zu wollen. Jedenfalls nicht sofort.

Christoph Carstens
Pfarrer in Quedlinburg und Westerhausen