Osterglocken

20. Apr 2019

Es hat sich mir tief eingeprägt, dass der Ostermorgen mit Glockenläuten beginnt. Selbst kleine Städte bekommen ein ganzes Konzert hin – Glockenklang aus der Nähe und von Ferne von einem anderen Kirchturm.

 Ich hatte nie das Gefühl, irgendetwas davon mit dem Verstand erfassen zu müssen. Es war immer ungemütlich früh für einen Sonntag und war immer ungewöhnlich schön. Ich bin davon immer wach geworden und habe mich gut aufgehoben gefühlt in dem unzeitig frühen Glockenklang. Ich wünsche mir, es möge immer so bleiben. Es ist die richtige Musik zum Ostertag. So wie Orgelmusik zu Weihnachten oder ein Bläserchor am Himmelfahrtstag. Und sonst?
Zum Glück lernen wir schon als Kinder, was und warum Ostern ist. Dann können wir ein Leben lang selbst dafür sorgen, ob uns das etwas sagt oder nicht. Der Grundstock ist da: Christen feiern die Auferstehung des Herrn. Und dass die eigenen Erfahrungen mit dem Leben und seinen Beschränkungen eine „Auferstehung“ nicht vorsehen, widerspricht dem nicht. So ist die Überlieferung, es ist ein geheimnisvoller Mittelpunkt des Christentums, dass Jesus Christus der vom Tod auferstandene Herr ist, ob das nun der jeweilige Zeitgeist verstehen will oder nicht. Wir wissen freilich auch: Traditionen können untergehen können. Nämlich dann, wenn sie nur noch Hülle sind ohne Inhalt. Wenn das Leben grundsätzlich und jederzeit anders spielt, als der alte Glaube sagt, dann geht der Glaube mit seinem Ostern verloren und lässt sich auch nicht wiederfinden. Es genügt ja nicht, wenn ich mir sage: Die Glocken am Ostermorgen begleiten mich seit meiner frühen Kindheit, und ich möchte, dass das so bleibt. Ich brauche einen Pulsschlag, der mir anzeigt: Da ist Leben! Vielleicht sind es deshalb die Glockenklänge des Ostermorgens, die mir in aller Herrgottsfrühe nicht nur ein einmaliges Wohlbehagen bescheren, sondern zugleich verraten, wie lebendig der Puls ist. Ich werde nicht nur eine schöne Tradition erlebt haben, sondern auch einen Lichtblick beschert bekommen.
Mein Dank also an alle, die – weil die Kirche noch keine elektrische Glockenanlage hat – das Seil am Sonntagmorgen in die Hand nehmen und es Ostern werden lassen in Stadt und Land. Und dann wünsche ich mir, selbst den Puls an mir zu tragen, der von der Lebendigkeit zu Ostern erzählt. Ich werde jedoch auch selbst dafür zu sorgen haben, diese Spur nicht zu verlieren. Es ist ja nicht so ganz einfach, Ostern mit dem Sonntag zu beginnen, wenn man zuvor schon zwei herrlich freie Tage genießen durfte. So wie der Advent inzwischen zur Weihnachtszeit mutiert ist, hat Ostern sich bunt und fröhlich über den stillen Karfreitag gelegt. Da ist meine Entschlusskraft gefragt: Wenn ich mir das mit den Glocken am Morgen als Freude bewahren will, muss ich die Wartezeit aushalten als Wartezeit. Das wäre eine echte Kulturleistung. Sonst kann ich mir auch einfach eine schöne Glockendatei runterladen und, wenn ich Langeweile habe, sagen wir: The Bells of St. Pauls anhören, Ostern „to go“. Aber das wäre dann am Ende tatsächlich nur langweilig. Ich wünsche Ihnen frohe, gesegnete Ostertage.
Christoph Carstens,
Pfarrer in Quedlinburg und Westerhausen